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Zu Gast bei „L’Hôte“ von Camus

Zu Gast bei „L’Hôte“ von Camus

Aufführung des Xenia-Theaters im Jubez am 5.02.2024

Eine leere Bühne mit einem schwarzen, hohen Stuhl als einziger Requisite. Schwarze Vorhänge. Die Schauspielerin Nathalie Cellier, die einzige des Abends, in schlichter Kleidung: schwarzer Pullover, weiße Hose, Lederschuhe. Die Requisiten: ein Stück Schnur, ein Feuerzeug, ein Revolver. Und das soll für eine Vorstellung von 70 Minuten tragen?!

Daru, der allein in der Dorfschule auf dem algerischen Hochplateau lebende Lehrer, wartet vergebens auf seine Klasse, weil heftige Schneefälle die Wege zu beschwerlich machen. Dennoch bekommt er Besuch vom Gendarmen des Dorfes, der ihm einen arabischen Gefangenen übergibt, welchen Daru am Folgetag zur Kommandantur in der nächsten Kleinstadt auf der anderen Seite des Hochplateaus begleiten soll. 

Daru wehrt sich gegen diesen aus seiner Sicht unmoralischen Auftrag, ringt mit sich und seinem Gewissen und findet schließlich, nach schlafloser Nacht, einen Ausweg. Der sich als Sackgasse erweisen und ihn um seine Ruhe und seine Heimat bringen wird…

Auf bewundernswerte Weise schaffte es Nathalie Cellier, den Erzähler, der Daru sehr nahesteht, zu einer vielschichtigen, komplexen Person auszugestalten. In kurzen Sequenzen wechselt sie, ganz dem Text der Erzählung gemäß die Rolle und stellt mal den jovialen, etwas älteren Gendarmen dar, immer gut zu erkennen durch Bewegung und korsisch-italienisch gefärbte Aussprache. In einigen wenigen Momenten schlüpft sie in die Haut des Gefangenen, der angsterfüllt und verunsichert über sich ergehen lässt, was ihm geschieht. Die Orte des Geschehens: Klassenzimmer, das angrenzende Hinterzimmer, Rückzugsort von Daru, der Vorplatz, die Weite des Hochplateaus, sie alle werden vom ersten Auftritt an durch das suggestive Spiel von Nathalie Cellier Stück für Stück aufgespannt und virtuos durchschritten, sodass sich das Bühnenbild in der Vorstellung des Zuschauers aufbaut. Licht und Ton, sparsam eingesetzt, unterstrichen die Orte, die Tageszeiten und die Stimmung.

Für das Publikum, das größtenteils aus Kursstufen-SchülerInnen bestand, die diesen Text für das Abitur zu lesen haben, bestand im Anschluss an die mit großzügigem Applaus bedachte Vorstellung in französischer Sprache die Möglichkeit, Fragen, auch auf Deutsch, an die Schauspielerin zu stellen. Die Neugier war groß: Wie lange braucht man zur Vorbereitung, welche Passagen wurden gekürzt, warum wird am Ende die Möglichkeit eines Suizids angedeutet – mit diesem Blick „hinter die Kulissen“ gewannen die SchülerInnen über die Aufführung hinaus weitere wertvolle Eindrücke.

Und auch wenn man sich eventuell nicht für das Werk begeistern kann, so blieb auf jeden Fall die Anerkennung der durchdachten und stimmigen Regie von Peter Steiner. Und vor allem vor der darstellerischen und mnemotechnischen Leistung von Nathalie Cellier. Merci, Xenia-Theater!